"Auf andere Zukünfte hoffen!“
Im Vorfeld des Gatherings “Beyond Equality: Feminisms Reclaiming Life” haben wir uns mit Margarita Tsomou und María Galindo unterhalten. Margarita Tsomou ist Teil des Kollektivs, welches das Gathering kuratiert. María Galindo ist eine der Kult-Figuren des Feminismus Lateinamerikas.
Allianz Foundation: Liebe María, Ende Juni findet das „Beyond-Equality-Gathering“ in Berlin statt. Freust du dich darauf, mit so vielen Aktivist*innen zusammenzukommen, und was erwartest du vom Gathering?
María Galindo: Ja, ich freue mich sehr! Allein schon der Name des Gatherings unterstreicht die Bedeutung. Es gibt viele Treffen in der ganzen Welt, von Frauen, Frauengruppen, von Politiker*innen: diesmal geht es aber nicht um Gleichheit, sondern darum das Konzept von Gleichheit zu überwinden, das ist einmalig! Jetzt dürfen wir, jetzt sollten wir, auf andere Zukünfte, Zukunftsideen, Zukunftshoffnungen als nur Gleichheit hoffen.
Allianz Foundation: Du kämpfst also nicht für das Recht auf Gleichheit, sondern?
María Galindo: Revolution! Für einen echten und strukturellen Wandel. Die Rede von Gleichheit im Kapitalismus, im Liberalismus und auch Neo-Liberalismus bringt eine große Konfusion mit sich. Es hört sich positiv an, obwohl es ein leeres Konzept ist. Deswegen ist es wichtig, hier sprachlich weiterzugehen.
Allianz Foundation: Und was erwartest du vom Gathering?
María Galindo: Es wird interessant sein, was beim Gathering in Berlin geschieht. Die Mischung der eingeladenen Frauen ist sehr stark. Normalerweise hat man Europäer*innen mit Migrant*innen, aber ohne Teilnehmer*innen aus dem Süden. Oder Gäste aus dem Süden und dann niemanden aus dem Norden! Es ist aber wichtig, dass wir uns durchmischen, auch geografisch, weil die Ansichten dann unterschiedlich sind.
Allianz Foundation: Margarita, worauf freust du dich und warum hast du dieses Gathering ins Leben gerufen?
Margarita Tsomou: Es gibt dieses Gathering, weil wir verschiedenste Perspektiven zusammenbringen wollen. Und zwar diejenigen, die meiner Ansicht nach die interessantesten feministischen Perspektiven sind. Für mich sind es eben die im Iran, in Kurdistan oder in Lateinamerika. Dort sehen wir, dass Feminismus eben nicht nur die Genderfrage oder die Frage nach Gleichheit ist. Die Geschlechterfrage ist keine Zusatzfrage zu den Fragen, die die Welt bewegen. Sondern eine der zentralen Fragen. Feminist*innen führen ganze Bewegungen an, auch revolutionäre Bewegungen, antikapitalistische Bewegungen, anti-extraktivistische Bewegungen sowie ökologische Bewegungen. Das heißt, Feminismus ist keine weitere Frage in der Diskussion um Rechte oder Gleichheit, Feminismus ist eigentlich eine Methode, ein Projekt zur strukturellen Transformation. Die Auswahl der Gäste ist eine politische und keine geographische Auswahl. Ich habe aus diesen Kontexten ein Kurator*innekollektiv zusammengebracht, weil ich dachte, das ist es, wo es interessant wird! Die diasporische Community aus Berlin ist ebenso dabei.
Allianz Foundation: Was habt ihr euch für das Gathering vorgenommen?
Margarita Tsomou: Das Gathering ist eine Methode, um zusammen in einem kollektiven Prozess zu forschen. Das heißt, die Konferenz ist ein Prozess von Zusammendenken. Wir werden das Ergebnis erst dort entwickeln und gehen ergebnisoffen an die Konferenz heran. Es ist ein Arbeitstreffen! Wir wollen zusammen arbeiten und es stehen Fragen am Anfang, keine Antworten. Wir wollen Gespräche über Krieg, über Grenzen, über soziale Fragen, über Revolutionen, über die Polizei, über den Staat führen. Das heißt, es ist eine Konferenz, bei der wir alle lernen und nicht nur zeigen, was wir können. Darauf freue ich mich, dass wir zusammenkommen mit all unseren unterschiedlichen Perspektiven, und ich glaube sehr viel voneinander lernen können. Das ist es, was auf der Konferenz passieren wird: Menschen kommen zusammen, die noch nicht miteinander gesprochen haben.
Allianz Foundation: Als Stiftung unterstützen wir Risktaker, dass sind Menschen wie du María. Menschen die Risiken auf sich nehmen für bessere Lebensbedingungen für die nächsten Generationen. Aus Aktivist*innen-Perspektive, was braucht es von unserer Seite? Was können, was müssen wir tun, um euch zu unterstützen?
María Galindo: Das ist keine einfache Frage. Es ist sehr wichtig, die Kämpfe nicht mehr als Opfer zu verstehen oder als Martyrium. Diese Kämpfe bedeuten Leben, sie bedeuten Freude. Wenn wir Kämpfe weiter als Tragödie begreifen, wird niemand mitmachen. Was ihr für uns tun könnt? Lasst die Arroganz hinter euch. Es geht nicht um eure Unterstützung. Das bedeutet, dass ihr keine eigene Agenda habt. Wir müssen zusammen kämpfen. Es braucht uns alle und alle können sich beteiligen. Natürlich riskieren wir unser Leben. Das ist wahr, aber es ist auch wahr, dass wir die Opferlogik durchbrechen müssen.
Allianz Foundation: Margarita, wenn du auf unsere europäischen feministischen Kämpfe schaust, wo müssen wir dazulernen, und wie können uns Allianzen dabei helfen?
Margarita Tsomou: Wir sind durch Nationen in bestimmten Rahmen gefangen. Das Abtreibungsrecht ist national unterschiedlich. In Griechenland zum Beispiel haben wir ein sehr, sehr liberales Abtreibungsrecht, viel liberaler als in Deutschland. Man könnte denken, dass der Norden aufgeklärter ist. Ein Irrtum. Das bedeutet, ich muss in Deutschland anders für das Recht auf Abtreibung kämpfen als in Griechenland. Ich glaube, dass wir uns irren, wenn wir glauben, dass der europäische Norden den Feminismus erfunden hätte, wenn er sich den Feminismus auf eine bestimmte Art aneignet. Als hätten nicht immer schon im Süden Frauen nicht nur gekämpft, sondern ganze Gesellschaften organisiert! Der Feminismus im globalen Süden organisiert Communitys, organisiert Nahrungssouveränität, organisiert sogar Regierungsweisen. Aus meiner Sicht hinkt der europäischen Norden nach mit Diskussionen zu einzelnen Diskriminierungsphänomenen. Das sind additive Verfahren, bei denen wir hinterherhängen. Vielleicht müsste man sogar andere Begriffe finden als „Feminismus“. Wir haben über Mujerismus gesprochen, die Kurdinnen sagen: „Womens Liberation Movement“.
Allianz Foundation: Können wir diese Kämpfe überhaupt nationalisieren, oder bleibt es ein globaler Kampf?
Margarita Tsomou: Nationen beschränken uns in unserem Radius. Im Rahmen des Gathering bieten wir eine internationalistische Perspektive an. Die geht nicht nur über Nationen hinweg, sondern geht davon aus, dass wir als Subalterne alle gleiche Interessen haben, egal in welchem Land wir leben. Wir knüpfen ein anderes internationalistisches Netzwerk, das über die die Art und Weise, wie Nationen regiert werden, hinausgeht. Es ist ein internationalistische Gathering, Ich weiß ich auch gar nicht, ob es nicht ein globaler Feminismus oder ein planetarischer Feminismus ist. Den gibt es halt noch nicht, es gibt noch keine global-feministische Regierung. Das packen wir an.
Allianz Foundation: Welche Welt möchtest du für die kommenden Generationen hinterlassen, María?
María Galindo: Ich habe keine Geduld. Ich will nicht an die nächste Generation denken und als Oma für die nächste Generation kämpfen. Wir brauchen jetzt so vieles für unser jetziges Leben! Wir brauchen jetzt Hoffnung, wir brauchen jetzt Massenorganisation, wir brauchen jetzt Raum für Kultur und Kunst. Ich denke lieber an heute als an die nächsten Generationen. Ich weiß, dass die nächsten Generationen neue Fragen haben werden, mit denen ich nichts zu tun haben werde. Aber das Wichtigste ist jetzt im Moment, unser Jetzt. Wir sollten das Ziel Revolution nicht aus dem Blick verlieren, auch wenn es in der Zukunft liegt. Ebenso wenig sollten wir den Begriff Feminismus verloren geben, sondern seine Bedeutung erweitern.
Also, welche Welt wollen wir hinterlassen? Eine Welt, bereit für eine weitere Revolution!
Margarita Tsomou: Dem würde ich mich anschließen. Für mich ist es so, dass angesichts der Gefahr des Faschismus und der Tatsache, dass wir in Europa autoritäre Wenden erleben, immer mehr Sachen weniger leicht sagbar werden. Es gibt eine autoritäre Wende innerhalb der liberalen Demokratien. Wir haben hier in Deutschland in den letzten Wochen Demonstrationsverbote erlebt, Razzien gegen Klimaaktivist*innen, Versammlungsverbote, Antifaschistinnen werden ins Gefängnis gesteckt. Es ist eine historische Aufgabe, den Raum offen zu halten, damit die kommenden Generationen ihre Fragen überhaupt stellen können. Das ist für mich angesichts des politischen Klimas gerade entscheidend. Das kann man nicht übermorgen machen. Da muss man jetzt das Momentum nutzen, sonst normalisiert sich die autoritäre Wende. Deswegen glaube ich, dass wir auch für die nächsten Generationen kämpfen, wenn wir heute Veränderungen erkämpfen. Deswegen würde ich sagen, wir müssen heute verändern, damit die anderen überhaupt was verändern können.
María Galindo: Ich wollte noch ergänzen, dass ich vom Gathering auch erwarte, dass wir das Konzept Identität angreifen. Wir sollten keine Identitätskämpfe führen. Es spielt keine Rolle, ob du trans bist oder wer man ist. Uns auf Identitätskampf zu reduzieren, bedeutet zu verlieren. Es kann nicht nur um Rassismus gehen. Wir brauchen die Verbindungen zwischen den verschiedenen Probleme, dafür müssen wir Identität als Kampfbegriff überwinden
Allianz Foundation: Liebe María, liebe Margarita, Danke euch für das Gespräch!