“Die Situation ist ja nicht mehr dieselbe wie vor acht Jahren. Menschen mit Migrationshintergrund sind viel sichtbarer geworden, auch in den Medien, und wir haben unseren Beitrag dazu geleistet.”Younes Al Amayra
Der Gründer des erfolgreichen YouTube-Kanals "Datteltäter" Younes Al-Amayra, im Gespräch mit Esra Kücük, CEO der Allianz Foundation, über den Kampf, muslimische Themen in die deutschen Medien zu bekommen, die Normalisierung, die bereits stattgefunden hat, aber auch die Herausforderungen, die weiter bestehen.
28. September 2023
Younes Al-Amayra © Allianz Foundation
“Die Situation ist ja nicht mehr dieselbe wie vor acht Jahren. Menschen mit Migrationshintergrund sind viel sichtbarer geworden, auch in den Medien, und wir haben unseren Beitrag dazu geleistet.”Younes Al Amayra
Younes Al-Amayra hat vor acht Jahren gemeinsam mit Freunden den erfolgreichen YouTube-Kanal Datteltäter gegründet, ein Satire Format, das sich mit Stereotypen, Vorurteilen und Klischees beschäftigt. Heute hat der Kanal über eine halbe Million Follower. Daneben betreibt Younes die Datteltäter Academy, ein Fellowship Programm für Medien-Newcomer mit Migrationsgeschichte.
Esra Kücük ist CEO der Allianz Foundation. Sie beschäftigt sich mit den Zukunftsfragen einer Gesellschaft im Wandel und setzt sich für Themen wie kulturelle Teilhabe und soziale Gerechtigkeit in Zeiten der Transformation ein.
Esra Kücük: “Die Allianz Foundation hat sich zum Ziel gesetzt, die Lebensgrundlagen der nächsten Generationen zu verbessern. Unter den Followern eures YouTube-Kanals sind viele junge Menschen. Was sind deiner Einschätzung nach für sie gerade die brennenden Themen?”
Younes Al-Amayra: “Es gibt Themen, die sich über die Generationen kaum verändert haben. Es geht um Repräsentation und Chancengleichheit, und das hat ganz viel damit zu tun, wie man im Schulsystem behandelt wird. Und es geht weiter um Identitätsfragen: Wer bin ich und wo gehöre ich in dieser Gesellschaft hin?”
Esra Kücük: “Was kann ich mir denn unter eurem YouTube-Kanal genau vorstellen?”
Younes Al-Amayra: “Wir haben angefangen mit einem muslimischen Satire-Format, wo es um junge Muslim*innen in Deutschland und deren Lebensrealitäten geht. Wir greifen Klischees und Stereotypen auf und behandeln sie satirisch. Es ist uns wichtig, unsere eigenen Narrative zu setzen und nicht immer nur auf Rassismus oder Terrorismus festgelegt zu werden. Im Laufe der Jahre haben wir zunehmend andere migrantische Themen und marginalisierte Gruppierungen miteinbezogen, weil es sehr viele Schnittpunkte gab.”
Esra Kücük: “Hat sich seit dem Start etwas getan, vielleicht auch gerade auf der Grundlage der Arbeit, die ihr und andere gemacht haben? ”
Younes Al-Amayra: “Als wir an den Start gingen, gab es nichts Vergleichbares. Ich glaube, wir haben echte Identifikationsfiguren schaffen können. Du stellst als junger Muslim plötzlich fest, dass du nicht der einzige mit deinen Problemen bist, sondern dass es andere gibt, die sogar öffentlich darüber reden, und das auf sehr coole Weise. Und so gibt es auf einmal eine muslimische Frau mit Kopftuch, die Comedy macht. Das inspiriert dich, selbst etwas zu tun. Wir haben eine Menge Zuschriften bekommen, die uns ermutigt haben, unseren Weg weiterzugehen. Im linearen Fernsehen hätte das nicht funktioniert, weil die Zielgruppe eine andere ist. Aber Social Media Plattformen sind viel demokratischer und zugänglicher, da gibt es weniger Hürden.”
Esra Kücük: “Als Allianz Foundation unterstützen wir Initiativen, die sich für marginalisierte Stimmen und vulnerable Gruppen einsetzen. Und wir machen immer wieder die Erfahrung, dass diejenigen, die sich für andere einsetzen, oft selbst zur Zielscheibe von Hass werden. Macht ihr diese Erfahrung auch?”
Younes Al-Amayra: "Auf jeden Fall. Jeder, der in die Öffentlichkeit geht und eine gewisse Reichweite hat, wird zur Zielscheibe. Spätestens ab dem zweiten Jahr, als wir 30.000 Abonnenten erreicht hatten, wurden wir das Ziel von organisierten Hasskampagnen im Netz bis hin zu Morddrohungen. Rechte Gruppierungen haben es sich zur Aufgabe gemacht, uns mit Dreck zu bewerfen und uns systematisch zu verunsichern. Es werden Vorwürfe in den Raum geworfen, die völlig unbewiesen sind. Das zielt vor allem auf Einzelpersonen, meistens auf Frauen.
Die Anfeindungen sind nicht leicht zu ertragen. Es kommt immer wieder vor, dass Leute zusammenklappen und es nicht mehr aushalten. Aber das Gute ist: wir sind in einer Gruppe. Da können wir die Belastung teilen und uns gegenseitig unterstützen. Und dann gibt es auch externe Hilfestellungen. Wir hatten eine psychologische Betreuung zur Seite, es gab Workshops zum Thema Hass im Netz. So versteht man besser: Wer sind diese Gruppierungen, was ist ihr Ziel und ihre Denkweise? Man bekommt dann eine ganz andere Sicht und lernt, mit den Anfeindungen besser umzugehen, es nicht mehr so nah an sich ranzulassen.
Und natürlich ist Solidarität und Unterstützung von außen ganz wichtig, wie etwa von der Allianz Foundation und anderen Organisationen, die zu uns stehen und mit uns zusammenarbeiten. Es hilft uns sehr, das Gefühl zu bekommen: Wir wissen, was Ihr tut, und wir stehen zu euch."
Esra Kücük: “Als ihr angefangen habt, galtet ihr als junge muslimische Satire. Jetzt arbeitet ihr mit Leuten, die noch jünger sind als ihr. Was sind deine Erfahrungen mit der noch jüngeren Generation? Fühlst du dich schon alt?”
Younes Al-Amayra: “Ja manchmal schon. Aber eigentlich begrüße ich das. Was mir auffällt: für die Jüngeren verfließen die Grenzen immer mehr. Wenn man sich heute auf Twitter oder Instagram die Kanäle von Muslimen, die als solche sichtbar sind, anschaut, dann ist ihr Thema nicht unbedingt muslimische Lebenswelten. Die haben mittlerweile ihren eigenen Content, wo sie zu ganz verschiedenen Themen bloggen, wie z.B. Reisen oder vieles mehr. Sie thematisieren dann auch mal ihren eigenen kulturellen Background, aber das ist Teil des Ganzen, es ist nicht das Hauptthema. Das finde ich eine schöne Entwicklung.”
Esra Kücük: “Also eine Art von Normalisierung.”
Younes Al-Amayra: "Absolut. Einer der erfolgreichsten Tiktok-Influencer aus Deutschland z.B. ist Marokkaner, aber macht gar nichts zu seinem eigenen kulturellen Background. Das ist ja immer unser Wunsch gewesen, dass man nicht ständig über seine Herkunft sprechen muss. Als wir angefangen haben, war das noch anders. Damals mussten wir uns selbst isolieren, ein zugespitztes muslimisches Profil geben, damit man uns überhaupt hört. Unser Wunsch war aber immer, dass es ganz normal ist, eine Gülcan Cetin mit Kopftuch auf dem Bildschirm zu sehen.
Diese Entwicklung findet immer noch hauptsächlich auf Social Media statt, aber sie findet statt. Wünschenswert wäre es jetzt, dass das auch ins lineare Fernsehen übertragen werden kann: dass es mehr Hosts aus der BIPOC oder muslimischen Community gibt, die gar nicht unbedingt zu migrantischen Themen sprechen."
Esra Kücük: “Wenn man sich so viel mit Rassismus, Diskriminierung, Stereotypen und Klischees beschäftigt wir du: Was macht einem da Hoffnung? Woraus schöpfst du Kraft und Mut?”
Younes Al-Amayra: "Die Situation ist ja nicht mehr dieselbe wie vor acht Jahren. Menschen mit Migrationshintergrund sind viel sichtbarer geworden, auch in den Medien, und wir haben unseren Beitrag dazu leisten können. Unsere Arbeit war nicht umsonst, wir haben Leute erreicht und bekommen positives Feedback. Selbst in Schulen und Universitäten werden unsere Videos jetzt als Lehrmaterial benutzt. Das hätte ich mir damals nie träumen lassen. All das macht Hoffnung und du weißt: dafür mache ich's.
Der nächste Schritt ist, jetzt noch größer zu denken. Wie steht es mit dem Film und mit Serien in Deutschland? Da werden wir zwar repräsentiert, aber du hast immer das Gefühl: Wir wurden jetzt zwar mit reingenommen, aber die Narrative und die Stories sind weiter völlig deutsch. Das sind nicht unsere Themen, so würden wir nicht sprechen. Es gibt also noch eine Menge zu tun!"
Das Interview entstand im Sommer 2022, wurde redaktionell bearbeitet und wird hier verkürzt wiedergegeben. Die volle Länge können Sie sich hier anschauen (Youtube).