“Gesellschaften, die sich die Aufklärung auf die Fahnen geschrieben haben, brauchen eine Aufklärung über die Aufklärung.”Idil Baydar
Drei Fragen an unsere Fellows: Idil Baydar ist eine multidimensionale und preisgekrönte Künstlerin, in Berlin lebend, die mit sozial- und gesellschaftskritischer Kunst, intersektionale, antirassistische Diskurse anstößt. Sie arbeitet mit Jugendeinrichtungen, Universitäten, Theatern, Autor*innen und anderen zusammen.
26. Juli 2023
Idil Baydar © Cengiz Karahan
“Gesellschaften, die sich die Aufklärung auf die Fahnen geschrieben haben, brauchen eine Aufklärung über die Aufklärung.”Idil Baydar
Eine gerechte und solidarische Gesellschaft mitgestalten sowie eine neue Architektur des Zusammenlebens schaffen - für die nächsten Generationen: das hat sich Idil Baydar als Allianz Foundation Fellow vorgenommen. Hier beantwortet sie uns drei Fragen.
"Ich habe ein humanistisches Weltbild, das meine Wahrnehmung der Welt bestimmt. Alle Menschen haben, ungeachtet ihrer Fähigkeiten und Fertigkeiten, das gleiche Recht auf ein Leben in Würde, Freiheit und Selbstbestimmung. Dieser Gedanke reifte in mir während meiner Schuljahre auf dem Internat der Waldorfschule Benefeld in der Lüneburger Heide. Das Internat erlebte ich als einen Raum frei von Ungleichheit und Diskriminierung. Meine Herkunft spielte keine Rolle. Diese frühe Erfahrung von Anerkennung prägt mich bis heute und gibt mir Hoffnung, dass es möglich ist, eine Gesellschaft ohne Ungleichheit zu schaffen.
Vor zehn Jahren schuf ich die Kunstfigur Jilet Ayse. Jilet ist proletarisch und benennt den Schmerz der Einwanderergeneration, die oft dem Gefühl ausgesetzt ist, nicht gehört zu werden, die ständig funktionieren und dankbar sein muss, immer Ja sagen und es der Mehrheitsgesellschaft recht machen muss. Nach nunmehr zehn Jahren auf der Bühne stelle ich mir die Frage: Was hat sich in der Zeit verändert in dieser Gesellschaft? Welche Schlüsse hat das vereinigte Deutschland nach zahlreichen antisemitischen und rassistischen Angriffen und Anschlägen gezogen? Welche Prozesse wurden angeschoben, während Deutschland in aller Klarheit erleben muss, dass Rechtsextremismus und Rassismus die Demokratie bedrohen? Meine Arbeit als Künstlerin ist auch die Suche nach diesen Antworten: wie können wir daraus noch eine größere Komposition einer Gesellschaft machen, die den Menschen insgesamt dient?"
“In meiner Laufbahn als Comedian konnte ich auf unzähligen Theater- und TV-Bühnen direkt mit dem Publikum kommunizieren, es mitnehmen und an ihre klischeebehafteten Schmerzgrenzen bringen. Meine Kunstform hat mich gestärkt und darin bestätigt, diese performativen Räume über so viele Jahre einzunehmen. Es ist an der Zeit, einen weiteren Raum zu besetzen und ein Publikum zu erreichen, das sich mit der Macherin von Jilet Ayşe auseinandersetzt, geprägt durch die sozialpolitischen Erfahrungen zwischen mir und Jilet. Ich nutze das Fellowship, um an einem Zwischenergebnis zu arbeiten. Ich möchte eine Quintessenz dieser letzten 10 Jahre herstellen und es der breiten Gesellschaft zugänglich machen. Anders als Jilet möchte ich nicht die Theaterbühne für meine Erzählweise nutzen; ich bin inspiriert, die künstlerischen, politischen, empowernden Momente der vergangenen Jahre in Form von geschriebenen Texten zu reflektieren.”
“In meiner Vision spielt das Wort “Aufklärung” eine Rolle. Ich denke, dass Gesellschaften, die sich die Aufklärung auf die Fahnen geschrieben haben, eine Aufklärung über die Aufklärung brauchen. Ich möchte eine gerechte und solidarische Gesellschaft mitgestalten und eine neue Architektur des Zusammenlebens schaffen - für die nächsten Generationen, die kommen. Generationen, die noch offener und vor allem noch viel bewusster sein dürfen. Die Dinge ansprechen können, die bisher nicht aussprechbar sind. Ich sehe es als meine Aufgabe, Tabus aufzubrechen und die Räume des Möglichen zu erweitern, das Licht dahinzubringen, wo keines ist, also eine bewusstere Gesellschaft mitzugestalten. Vor allem eine Gesellschaft, die sich darüber im Klaren ist, dass Glück etwas Universelles ist, das jedem Menschen zusteht.”
Drei Fragen an unsere Fellows: Makan Fofana, der Minister der Magie, wie er sich selbst bezeichnet, stammt aus einer Pariser Banlieue und hat neue Wege entwickelt, um Stadtviertel, die allgemein als wirtschaftlich und sozial benachteiligt gelten, neu zu erfinden und zu verzaubern.