„Klimaschutz ist Menschenrechtsschutz“ - ein Gespräch mit Markus Beeko

Der Generalsekretär der deutschen Sektion von Amnesty International in Deutschland, Markus Beeko, im Gespräch mit Esra Kücük, Vorstand der Allianz Foundation, über die Freiheit der Zivilgesellschaft, die Klimakrise als Menschrechts-Krise und die Solidarität mit Risktakern.

22. September 2023

Markus Beeko is standing in front of the Declaration of Human Rights as a poster and looks into the camera

Markus Beeko © Amnesty-International Sarah Eick

“Klimaschutz ist Menschenrechtsschutz. Und die Klimakrise ist eine Menschenrechts-Krise. Weil sie nicht nur die Lebensgrundlagen von Menschen in der Zukunft tangiert, sondern bereits jetzt eklatante Auswirkungen auf das Leben von Millionen von Menschen hat.”
Markus Beeko, Generalsekretär Amnesty International Deutschland

Markus N. Beeko leitet als Generalsekretär der Sektion den inhaltlich-politischen Geschäftsbereich und vertritt Amnesty International in Deutschland nach außen und auf internationaler Ebene. Er ist seit 2004 für Amnesty in Führungsfunktionen in Deutschland und weltweit aktiv. Er leitet u.a. auch die internationale Steuerungsgruppe "Menschenrechte im digitalen Zeitalter". Markus N. Beeko ist Kuratoriumsvorsitzender der Stiftung Menschenrechte und stellvertretender Vorsitzender des Kuratoriums des Deutschen Instituts für Menschenrechte.
 
Esra Kücük ist Vorstand der Allianz Foundation. Sie beschäftigt sich mit den Zukunftsfragen einer Gesellschaft im Wandel und setzt sich für Themen wie kulturelle Teilhabe und soziale Gerechtigkeit in Zeiten der Transformation ein.

Esra Kücük: “Ich freue mich sehr, heute Markus Beeko zu Gast zu haben! Markus Beeko ist seit 2016 Generalsekretär der deutschen Sektion von Amnesty International und seit 2004 in führenden Rollen für die Menschenrechtsorganisation tätig. Über diese wichtige Arbeit wollen wir heute sprechen. Die Allianz Foundation hat sich zum Ziel gesetzt, die Lebensgrundlagen der nächsten Generation zu verbessern. Ein unabdingbarer Teil davon ist die Bewahrung offener Gesellschaften. Am 24. Februar 2022, mit dem Angriff Russlands auf die Ukraine, hat sich eine neue Welt aufgetan. Autoritarismus in Europa ist zwar schon länger Realität, aber jetzt haben wir auch einen Krieg mitten in Europa. Wie schätzt Du diese Zeitenwende für die Lage der Menschenrechte ein?"

Markus Beeko: “Der Angriffskrieg auf die Ukraine ist aus Sicht von Amnesty die Spitze eines Eisbergs. In den letzten Jahren gab es immer wieder Verletzungen des humanitären Völkerrechts und Kriegsverbrechen. Diese wurden zwecks Machterhalt oder Machtgewinn verübt. Die Verantwortlichen haben dabei die internationale Ordnung verletzt und wurden dafür nicht zur Rechenschaft gezogen. Und das ist etwas, das sich ändern muss, wenn wir über die aktuelle Zeitenwende sprechen. Denn egal ob in Syrien, im Jemen oder im Kongo, zu oft sind Verantwortliche für Kriegsverbrechen und Menschenrechtsverletzungen ungeschoren davongekommen. Deshalb ist es gut, dass schon während des Angriffskrieges auf die Ukraine international ermittelt wird. Es gibt den Willen, die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen, angefangen bei Putin.”

Esra Kücük: “Du sprichst von Verantwortung - dabei muss ich auch an Europas Verantwortung bei Migrations- und Fluchtbewegungen denken. Gerade im Zuge des Krieges gegen die Ukraine haben wir viele Menschen gesehen, die innerhalb Europas geflohen sind, viele davon auch nach Deutschland. Diese Fluchtbewegung war mit großer Solidarität verbunden. Gleichzeitig erinnern wir uns daran, dass sich der Kontinent nach wie vor schwertut mit der Frage nach der Aufnahme von Geflüchteten. Haben wir, was die Menschenrechtssituation von Flüchtenden nach Europa betrifft, aus den letzten Jahren gelernt?”

Markus Beeko: “Es ist die größte Fluchtbewegung in Europa seit dem Zweiten Weltkrieg und sie besteht vorwiegend aus Frauen und Kindern. Zum ersten Mal in den letzten Jahren haben europäische Regierungen gemeinsam entschlossen reagiert. Sie haben zusammen mit vielen Bürger*innen, die ehrenamtlich aktiv waren, schnell Hilfe organisiert - sie haben Verantwortung übernommen. Gleichzeitig sehen wir, dass weiterhin an den europäischen Außengrenzen Kinder und Frauen in dramatischsten Umständen verharren müssen. Selbst auf europäischem Boden werden Schutzsuchende noch unzureichend geschützt. Es gilt jetzt, sich selbst beim Wort zu nehmen. Es ist möglich! Wenn der politische Wille da ist und wenn wir uns als europäische Gemeinschaft verstehen, die Menschenwürde und Menschenrechte ernst nimmt, dann machen wir keinen Unterschied zwischen Menschen, die an der Grenze zwischen Polen und Belarus ausharren, oder Menschen, die vor diesem schrecklichen Krieg gegen die Ukraine fliehen.”

Esra Kücük: “Eure Arbeit mit internationalen Partnern ist extrem wichtig. Als Stiftung arbeiten wir ebenfalls im Kontext von transnationaler Solidarität. Es geht um Herausforderungen, die wir national nicht lösen können. Uns macht die Entwicklung bei der Frage nach Freiräumen und der Handlungsfähigkeit von zivilgesellschaftlichen Akteur*innen Sorge - Schlagwort Shrinking Spaces for Civil Societies. Wie ist Deine Einschätzung zur Lage?”

Markus Beeko: “Wenn wir nach vorne schauen - und das tut die Allianz Foundation ja in unterschiedlichster Weise - dann ist klar, dass wir die Klimakrise, die wachsende Ungleichheit und die Frage nach der Generationengerechtigkeit angehen müssen. Und das können wir nur, wenn wir, wie in eurem Falle, verschiedenste Akteur*innen, Kultur- und Kunstschaffende zusammenarbeiten. Wir brauchen alle gesellschaftlichen Kräfte: junge Menschen, alte Menschen, Menschen aus dem Kulturbereich, aus der Wissenschaft. Sie alle müssen gemeinsam die wichtigen Diskussionen führen und gute Lösungen entwickeln. Und gleichzeitig sehen wir, dass es autoritäre Regierungen gibt, die genau diese Allianzen und Freiräume für Bündnisse beschränken. Wir sehen weltweit, dass allein im letzten Jahr in über 60 von 154 beobachteten Ländern neue Gesetze erlassen wurden, um Meinungsfreiheit, Pressefreiheit, Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit einzuschränken. Und das auch zunehmend in Europa. Kritische Stimmen werden mundtot gemacht. Wir sehen das in Russland, wir sehen das in der Türkei, aber wir sehen es zunehmend auch in anderen Staaten. Und dabei ist ganz wichtig zu bemerken, dass gerade Menschen, die sich – etwa als Umweltaktivist*innen oder ähnliches - engagieren, zunehmend kriminalisiert werden. Wie die Crew der Juventa [ein NGO-Seenotrettungsschiff], die im Mittelmeer Menschenleben retten. Dagegen gilt es vorzugehen. Diese Menschenrechtsverteidiger*innen brauchen unsere Solidarität!”

Esra Kücük: “Das ist genau die Zielgruppe, mit der wir als Stiftung arbeiten wollen. Die sogenannten Risktaker, also diejenigen, die selbst Risiken auf sich nehmen, um andere zu schützen, um anderen Freiräume zu erschaffen. Sie werden mehr und mehr zur Zielscheibe. Hast Du da aus Eurer Arbeit Hinweise für uns, wie wir diese Akteur*innen noch stärker schützen und ihre Arbeit noch stärker unterstützen können?”

Markus Beeko: “Solidarität wird dann wirksam, wenn wir uns gemeinschaftlich vernetzen, sowohl innerhalb von Ländern und Gesellschaften, aber auch darüber hinaus. Die Solidarität kann auch wirksam werden, indem wir von unseren Regierungen einfordern, für diese Menschen Räume bereitzustellen, sie zu schützen und zu unterstützen. Dazu sind Regierungen auch verpflichtet. Es gibt gerade im europäischen Raum die EU-Richtlinie zum Schutz von Menschenrechtsverteidiger*innen. Sie schützt Umweltaktivist*innen oder Kulturschaffende, die sich für Meinungsfreiheit und für Versammlungsfreiheit einsetzen. Und sie nimmt alle Regierungen in die Pflicht, zu ihrem Schutz beizutragen, egal in welchem Land sie bedroht sind.”

Esra Kücük: “Du hast gerade das Schlagwort Klimagerechtigkeit angesprochen. Das ist ein Kernbereich unserer Arbeit. Wir fühlen uns ermutigt durch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts, dass die nachfolgenden Generationen ein Recht auf eine unbelastete Umwelt haben. Wir sind in der Verantwortung, diese Klimagerechtigkeit jetzt herzustellen. Wo macht Ihr euch Sorgen, dass die Lebensgrundlagen für die nachfolgenden Generationen nicht bewahrt werden können, wenn wir jetzt nicht gegensteuern?”

Markus Beeko: “Klimaschutz ist Menschenrechtsschutz. Und die Klimakrise ist eine Menschenrechts-Krise. Weil sie nicht nur die Lebensgrundlagen von Menschen in der Zukunft tangiert, sondern bereits jetzt eklatante Auswirkungen auf das Leben von Millionen von Menschen hat. Wir kommen aus einer Geschichte, in der Dinge immer auf Kosten anderer Menschen getan wurden. Sei es zu Zeiten des Kolonialismus, der Sklaverei oder der wirtschaftlichen Überlegenheit in der Nord-Süd-Beziehung. Und auch jetzt, wenn wir auf die Klimakrise schauen, setzt sich das fort: die Ausbeutung von Rohstoffen, von Umwelt und Landschaft, auf Kosten der zukünftigen Generationen. Wir brauchen Interventionen durch uns alle und auch gerade durch junge Menschen, die daran erinnern, dass das nicht weitergehen kann. Und die auch daran erinnern, dass wir ein Konzept dagegen haben. Eine Idee, wie wir Gesellschaft miteinander organisieren, die nachhaltig sein kann. Nämlich auf Basis dessen, dass wir alle Menschen beteiligen, dass wir offene, vielfältige Gesellschaften haben - mit Rechtsstaatlichkeit, mit Minderheitenschutz. Und deshalb ist das Urteil des Bundesverfassungsgerichts in vielerlei Hinsicht gut und wichtig. Es zeigt, dass wir über etwas reden, das wir auch als Recht in Anspruch nehmen und für uns alle geltend machen sollten.”

Esra Kücük: “Spannend ist ja, dass die Klimatransformation eine ganzheitliche Herausforderung ist. Die Klimakrise wird auch eine Konsequenz für Fluchtbewegungen haben. Die Frage des Klimaschutzes wird auch sozial behandelt werden müssen; wir können das eine nicht gegen das andere ausspielen. Der Kunst- und Kultursektor, wo es viel um die Frage von Meinungsfreiheit und Kunstfreiheit geht, ist ein Schwerpunkt der Arbeit der Allianz Foundation. Wenn offene Gesellschaften und Demokratien bedroht sind, werden meist Kunst- oder Kulturakteur*innen als erste zensiert. Wie ist da Deine Einschätzung?”

Markus Beeko: “Ja, die wachsenden Angriffe auf Künstler*innen und auch auf Kulturinstitutionen sind ein ganz wichtiger Seismograf für das, was passiert. Und deshalb machen sie uns Sorgen. Zum Beispiel das Urteil in der Türkei gegen Osman Kavala. Es ist ein willkürliches Urteil - lebenslänglich für jemand, der den Kulturaustausch unterstützt. Das Beispiel Osman Kavala zeigt, wie wichtig es ist, dass wir besonders auch im Kultur- und Kunstbereich international solidarisch bleiben. Wir müssen Wege finden, miteinander im Austausch zu sein, unabhängig davon, wie sehr Regierungen versuchen, dies zu unterdrücken. Und wir müssen uns auch über den Kultur- und Kunstbereich hinaus, im Wissenschaftsbereich und anderen zivilgesellschaftliche Bereichen miteinander vernetzen. Deshalb ist es so wichtig, wenn Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty, Selbstorganisationen von Betroffenen, aber auch gerade Stiftungen wie die Allianz Foundation gemeinsam Impulse setzen und richtige Fragen stellen. So kommen wir im besten Fall gemeinsam ins Agieren. Mir machen Organisationen Hoffnung, die sich trotz des äußeren Drucks engagieren und weiter machen.”

Esra Kücük: “Danke für das Gespräch!”

Das Interview entstand im Sommer 2022, wurde redaktionell bearbeitet und wird hier stark verkürzt wiedergegeben. Die volle Länge können Sie sich hier anschauen (Youtube).