Rat für Digitale Ökologie

Internetdienste sind auf den ersten Blick immateriell – und doch entstehen erhebliche Umweltbelastungen. Wir sprachen mit Harald Welzer vom Rat für Digitale Ökologie dazu, wie der ökologische Fußabdruck vermindert werden kann, und wie realistisch diese Strategien sind.

27. Juli 2023

Ein grafisch gestaltetes Porträt von Harald Welzer auf schwarzem Hintergrund mit dem Logo des Rats für Digitale Ökologie

© RDÖ

Projektbeschreibung

Rat für Digitale Ökologie

Der transdisziplinäre Rat für Digitale Ökologie widmet sich systematisch Fragen, in denen die ökonomischen, kulturellen, politischen, psychologischen und gesundheitlichen Dimensionen der Digitalisierung miteinander in Wechselwirkung stehen. Der Rat betrachtet es als seine Aufgabe, Debatten anzustoßen und die Digitalisierung als zentrales gesellschaftspolitisches Thema begreifbar zu machen. Als interdisziplinärer, hochkarätig besetzter Think Tank führt der RDÖ Studien durch, schreibt Positionspapiere und Empfehlungen, publiziert Meinungsartikel und stößt zivilgesellschaftliche Bündnisse zu Themen einer Digitalen Ökologie an. Die Allianz Foundation unterstützt den RDÖ.

“Die Gesellschaft muss definieren, welchen Gebrauch sie von einer Technologie machen will – nicht die Technologie, welchen Gebrauch sie von der Gesellschaft macht.”
Prof. Dr. Harald Welzer

Drei Fragen an 
Harald Welzer, Rat für Digitale Ökologie

Allianz Foundation: “Internetdienste wirken auf den ersten Blick immateriell; trotzdem entstehen massive Belastungen von Umwelt und Klima. Wie gravierend ist das Problem?”

Harald Welzer: “Das Problem ist gravierend – und es wird immer gravierender. Die gesamte Informationstechnik hat je nach Schätzung einen Anteil an der weltweiten Emission von Treibhausgasen von bis zu vier Prozent. Das ist etwa so viel, wie der gesamte afrikanische Kontinent ausstößt. Die Produktionsstätten für die Hardware, Microchips und so weiter brauchen Flächen, seltene Rohstoffe, Wasser und Energie, die Serverfarmen Kühlung und Strom. Immateriell ist da eigentlich gar nichts.”

Allianz Foundation: “Die Algorithmen von Online- und Social-Media-Plattformen zielen darauf ab, dass Nutzer*innen möglichst viel Zeit auf den Plattformen verbringen, um ihnen möglichst viel Werbung zu präsentieren. Um den Stromverbrauch und CO2-Emissionen zu minimieren, müsste eigentlich das Gegenteil passieren. Welche Instrumente bieten sich an, um dies zu erreichen?”

Harald Welzer: “Grundsätzlich ist eine radikale Fehlentwicklung, dass all der Aufwand am Ende nur betrieben wird, damit man immer mehr im Netz ist, um zu immer mehr Konsum verführt zu werden. Ein großes Problem dabei ist übrigens, dass die Algorithmen auf die Entstehung von Suchtverhalten ausgelegt sind, was in Zukunft gravierende Folgen für das Gesundheitssystem mit sich bringen wird. Schon einfache technische Maßnahmen – wie programmierte kurze Pausen beim Scrollen oder beim App-Start können die Nutzung drastisch verringern. Weil die Nutzer sich dann bewusst werden, dass sie in der Dauerschleife feststecken. Solche Maßnahmen könnte man vorschreiben.
Grundsätzlich sollte aber auf EU-Ebene endlich ein öffentlich-rechtliches Netzwerk entwickelt werden, das funktional mit den etablierten mithalten kann, aber keine kommerziellen Interessen verfolgt. Damit wäre sehr viel gewonnen."

Allianz Foundation: “Wie realistisch ist die Umsetzung solche Strategien angesichts der Macht der Plattformen?”

Harald Welzer: “Man kann ja auch Unternehmen in ihrer Macht einschränken, indem man sie zerschlägt oder bestimmte Praktiken rechtlich unterbindet. Aber das ist eine Frage des politischen Willens, der bislang nicht da ist. Entweder aus Unwissenheit oder auch aus Interesse. Insofern ist die Macht der großen Plattformen vorerst ungebrochen. Grundsätzlich muss die politische Aufmerksamkeit dreißig Jahre nach Erfindung des Internets endlich der Frage gelten, ob solche Anwendungen der Entwicklung der Demokratie und der freiheitlichen Ordnung förderlich sind – oder abträglich. Aber die digitale Transformation wird immer noch hauptsächlich wirtschafts- und technologiegetrieben diskutiert. Daher läuft die Politik der Entwicklung immer hinterher. Die Gesellschaft muss definieren, welchen Gebrauch sie von einer Technologie machen will – nicht die Technologie, welchen Gebrauch sie von der Gesellschaft macht.”