Klimaschutz braucht Vielstimmgkeit: Eine erste Bilanz
Klimahaus Bremerhaven: Die Teilnehmer*innen der ersten „Zukunftswerkstatt Kultur und Klimaschutz“ werden durch die Ausstellung „8 Grad Ost“ geführt. Die geographisch geordneten Themenräume machen die bedrückende globale Klima-Ungerechtigkeit greifbar und anschaulich. Im Anschluss an die Führung setzen sich die Teilnehmenden zusammen, um sich über die transformativen Spielräume in ihren eigenen Institutionen und Tätigkeitsfeldern auszutauschen: Was können wir bei uns vor Ort tun, um diese Ungerechtigkeit ein wenig zu lindern?
Berlin, Tempelhofer Feld: Das Team des Klimazirkus Cabuwazi hat zum Barcamp eingeladen und sammelt die Zukunftsbilder der Teilnehmenden. Tags drauf kommen einige davon in einer spontanen Lesung mit Gitarrenbegleitung zur Aufführung: „Baumhäuser und begrünte Dächer. Geteilter Besitz und Urban Farming überall. Tanzen auf den Straßen und alle Flughäfen sind Zirkusgelände. McDonalds, Philip Morris und Meta werden im Geschichtsunterricht behandelt.“
Eine Kirche in der Bonner Nordstadt: Nach einem langen, debattenreichen Tag klingt der Abend beim gemeinsamen interreligiösen Singen aus. Die Stimmung ist gedämpft. Der Krieg in Nahost hat dem Thema „Interreligiosität“ eine bittere Relevanz gegeben und die Diskussionen des Tages waren nicht immer einfach. Oft prallten schwer vereinbare Positionen und Weltsichten aufeinander. Dennoch werden gerade von dieser Bonner Zukunftswerkstatt starke Impulse ausgehen: Am Folgetag wird sich eine informelle Arbeitsgruppe konstituieren, die in den Wochen danach in intensivem Austausch bleiben wird, um eine gemeinsame Position zum Nahostkrieg und zur drohenden Spaltung der Klimabewegung zu formulieren.
Ein Wald bei Karlsruhe: Die Gastgeber der letzten Zukunftswerkstatt haben zu einer Baumpflanzaktion eingeladen – eine ganz andere Art von Kultur, als sie bei den anderen Werkstätten praktiziert wurde. Doch auch hier wurde am Vortag intensiv diskutiert: Über das Downsizing von lukrativen Kulturevents, Forderungskataloge an eine transformative Kulturpolitik und die Frage „Wie erreicht man die Menschen in den Shopping-Malls?“
Vier Streiflichter aus den Zukunftswerkstätten „Kultur und Klimaschutz“ der Klima-Allianz Deutschland, dem hierzulande größten zivilgesellschaftlichen Bündnis für den Klimaschutz. Für die Klima-Allianz war dieses Format echtes Neuland. Im ersten Jahrzehnt ihres Bestehens hatte sie sich vor allem auf verschiedene nationale und internationale Handlungsfelder einer sozialverträglichen und international gerechten Klima- und Energiepolitik konzentriert. Anders als die Energie-, Mobilitäts- und Agrarwende war die „Kulturwende“ zunächst noch kein eigener Arbeitsschwerpunkt gewesen.
2019 war aus der Mitgliedschaft heraus eine informelle „AG Interkulturalität“ entstanden.In den Folgejahren begann sich die AG auf gemeinsame Positionen und Ziele zu verständigen und ein „Diskussionspapier Kultur und Klimaschutz“ zu formulieren. Dabei wurde deutlich, dass die Klima-Allianz Deutschland bei diesem Thema über ein besonders wertvolles Alleinstellungsmerkmal verfügt: Die große Vielfalt ihrer Mitglieder und deren fachlicher Perspektiven.
In anderen Netzwerken und Initiativen, die sich teilweise schon seit längerem mit „Kultur und Nachhaltigkeit“ beschäftigen, wurde dieses Thema bislang eher von den Interessen und Ressourcen der Kultur- und Medienschaffenden her gedacht. Dadurch konzentrierte sich der Fokus der Debatte sehr stark auf zwei Perspektiven. Zum einen auf die sogenannte „Betriebsökologie“ (wie kann das eigene institutionelle Handeln klima- und umweltverträglicher gestaltet werden?) und zum anderen auf die eher programmatische und dramaturgische Frage, wie sich Klima- und Umweltthemen künstlerisch umsetzen, darstellen oder erzählen lassen.
Beide Perspektiven sind zweifellos sehr wichtig. Doch was in Deutschland bislang fehlte, waren Orte und Anlässe für einen interdisziplinären Austausch, der das transformative Potential von Kultur in all ihrer Vielgestaltigkeit in den Blick nimmt. „Kultur“ ist ein Wort mit vielen Bedeutungen, die auf ganz unterschiedliche Weisen mit der Klimakrise und dem Klimaschutz verbunden sind. Eine dieser Bedeutungen schwingt immer dann mit, wenn von „kultureller Vielfalt“ oder „kulturellem Austausch“ die Rede ist: Menschen werden durch ihr Umfeld, ihre Religion oder ihre Community geprägt. Kulturelle Vielfalt beinhaltet viele Chancen und kann sehr bereichernd sein. Sie kann aber auch Fremdheitsgefühle und Konflikte auslösen – etwa dann, wenn Menschen gegen ihren Willen ihr Herkunftsland verlassen und sich neu beheimaten müssen.
Eine weitere Bedeutung ist in Begriffen wie „Alltagskultur“ oder „Esskultur“ enthalten: Die Art, wie wir Menschen unser Leben und Wirtschaften gestalten, ist nicht naturgegeben, sondern kulturell vermittelt. Dem jüngsten Sachstandsbericht des Weltklimarates (AR6, IPCC) zufolge könnten die globalen Treibhausgas-Emissionen durch ein verändertes Konsum-, Nutzungs- und Nachfrageverhalten um 40-70% gemindert werden. Dabei weist der IPCC ausdrücklich darauf hin, dass diese Verhaltensweisen durch soziale und kulturelle Normen geprägt sind und dass die entsprechenden Minderungsoptionen mit einer Verbesserung des grundlegenden Wohlergehens für alle vereinbar sind.
Die Frage, ob und wie „die“ Kultur (mit all den darin mitschwingenden Bedeutungen) an dieser Stelle zu einer treibenden Kraft des Wandels werden kann, wurde bislang viel zu wenig diskutiert. Wie ließe sich eine solche kulturelle Transformation gestalten? Welche Rolle können die Kulturinstitutionen, Religionsgemeinschaften, Medien, Vereine und Bildungseinrichtungen dabei spielen? Wie kann die Politik sie in ihren transformativen Bemühungen unterstützen?
Unser diesjähriges Projekt „Klimaschutz braucht Vielstimmigkeit“, konzipiert von unserer AG Interkulturalität und umgesetzt mit Unterstützung der Allianz Foundation, stellte diese Fragen in den Mittelpunkt und versuchte, einen lebendigen Diskurs anzustoßen: Nach innen, in die Mitgliedschaft der Klima-Allianz hinein und nach außen, in Richtung der Kulturpolitik und der kulturellen Akteur*innen.
Die vier „Zukunftswerkstätten Kultur und Klimaschutz“ bildeten das Herzstück des Projektes. In der Vielfalt der Teilnehmenden und der Buntheit der eingangs beschriebenen Momentaufnahmen klingt die besondere Qualität und Herausforderung des Themas an. Für viele Handlungsfelder im Klimaschutz lassen sich klare, quantifizierbare Ziele benennen. Für die Kultur (und erst recht für die Vielfalt und Fülle der Kulturen) lassen sich solche Ziele sehr viel schwerer definieren. Ob und wie sich ihr transformatives Potential gezielt in eine bestimmte Richtung lenken lässt, wie die verschiedenen Teilkulturen einander beeinflussen, an welchen Stellen Kultur Teil des Problems ist und wie sie ein Teil von Lösungen werden kann – das sind komplexe Fragen, auf die es keine einfachen Antworten gibt. Die Zukunftswerkstätten glichen deshalb häufig einem gemeinsamen, kreisenden Suchprozess.
Betrachtet man die Zukunftswerkstätten und die übrigen Projektmodule als Ganzes, dann zeichnen sich aber einige gut erkennbare „rote Fäden“ ab. Ein detailliertes Protokoll mit Handlungsempfehlungen für die nächsten Schritte werden wir Anfang 2024 vorlegen. Die Zukunftswerkstätten waren ein erster Schritt in eine vielversprechende Richtung.
Mehr zum neuen Kultur-Schwerpunkt der Klima-Allianz Deutschland finden Sie hier.