Umoja - das Frauendorf in Kenia

Hier schreibt Anuscheh Amir-Khalili über ihre dritte und letzte Reise, die sie im Rahmen des Allianz Foundation Fellowships zu ihren Partnerprojekten durchführte. Diesmal ging es nach Kenia in das Frauendorf Umoja – einem Ort des Widerstandes gegen Gewalt an Frauen.

24. November 2025

Von Frauen geführte Dörfer sind eine Lebensader gegen patriarchale Gewalt in Kriegs- und Krisengebieten.

Am Ewaso Nyiro River, der am Frauendorf entlang fließt, treffe ich Rebecca Lolosoli. Sie ist eine indigene Samburu und die Gründerin von „Umoja“. Ich habe keine Ahnung, wie Königinnen sich fühlen, aber ich glaube jetzt eine Ahnung zu haben, wie es sich anfühlen könnte, neben einer zu sitzen.

Gründerin Rebecca Lolosoli

Rebecca Lolosolis Ausstrahlung und ihre Weisheit übertünchen ihre Müdigkeit, denn sie ist ständig unterwegs, spricht auf Konferenzen, vernetzt Frauen, macht auf Gewaltstrukturen aufmerksam und sammelt Spenden. Ihre Arbeit hält ein Dorf mit über 40 vor Gewalt geflohenen Frauen und über 100 Kindern zusammen.

Die Geschichte des ersten und bislang einzigen Frauendorfes Afrikas „Umoja“ (suaheli: „Einheit“) begann Anfang der 90er Jahre. Um ihre sechs Kinder und sich zu ernähren, eröffnete Rebecca einen kleinen Lebensmittelladen in Archer’s Post. Er wird zu einem Ort des Austauschs. Hier vertrauen sich von Gewalt betroffene Frauen Rebecca an. Sie erfährt von den Sorgen um ihre kleinen Kinder, von fehlenden Unterkünften und Lebensgrundlagen, willkürlichen Schlägen der Ehemänner. Überlebende von Vergewaltigungen durch Soldaten des britischen Militärs berichten von Schwangerschaften und dem Ausschluss aus ihren Familien.  

“ Ich habe keine Ahnung, wie Königinnen sich fühlen, aber ich glaube jetzt eine Ahnung zu haben, wie es sich anfühlen könnte, neben einer zu sitzen.”
Anuscheh Amir-Khalili
Anuscheh Amir Khalili sits at a table and is working with plants

Koloniale Kontinuitäten

Die britischen Militärstationen sind ein Aspekt der kolonialen Kontinuität, der eng mit der Entstehung des Frauendorfes verwoben ist. Seit Jahren versuchen die Menschen in der Region auf den giftigen Abfall, den das Militär hinterlässt und die tödlichen Unfälle der Dorfbewohner*innen durch Waffen-Experimente aufmerksam zu machen. Dazu die Fälle von sexualisierter Gewalt. Es scheint, je schöner und je fruchtbarer das Land, umso brutaler die Geschichte von Aneignung und Erniedrigung.  

Rote Lehmerde lässt zahlreiche Sorten wie Banane, Mango, Süßkartoffel und Mais gedeihen. Auf den Ananasplantagen, so erzählt mir meine Reisebegleitung Bethi Ngari, hat der US-Konzern Del Monte das Sagen. Die Locals ernten schlecht bezahlt die Früchte ihres Landes. Wer nicht schnell ist, wird bestraft: Wachhunde werden auf die Arbeitenden gehetzt oder sie werden vom Personal selbst geschlagen. Die gelbe Frucht wird konserviert, mit Industriezucker angereichert und in leblosen Dosen an internationale Supermarktketten verkauft.

Bei den Kaffeeplantagen ist es ähnlich: Fremde Konzerne bieten die aromatischen kenianischen Bohnen teuer im Ausland an, während die meisten Kenianer*innen selbst Instant Kaffee von Nestlé trinken. Die Ausbeutung hat Folgen.

Viele Frauen in der Region sind krank, von Malaria und anderen Krankheiten abgemagert und geschwächt, ihre Kinder unterernährt. Rebecca hilft den Frauen nicht nur mit kostenlosem Essen, sondern auch mit der Übernahme von Krankenhauskosten. Ihr Ehemann und dessen Familie wollen sie zwingen, damit aufzuhören. Es gibt viel Streit.

Frauen, die versuchen durch den Verkauf von selbst gebrautem Schnaps ihren Lebensunterhalt zu verdienen, kommen ins Gefängnis. Ihre Kinder dürfen sie nicht mitnehmen. Rebecca ist klar, dass es einen Weg aus der Gewaltspirale geben muss.

Zunächst versuchte sie vergeblich mit anderen Frauen vor dem städtischen Bezirk auf die unerträgliche Situation hinzuweisen.  


 

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Häuser in Umoja und der Baum Neem.

Die Entstehung von Umoja

Die Frauen beginnen damit, Schmuck aus Pflanzensamen und getrockneten Früchten herzustellen. Diesen verkaufen sie an Touristen*innen. Immer wieder entreißen ihnen die Ex-Männer den damit erwirtschafteten Gewinn.

Die Idee, ein Frauendorf aufzubauen, entsteht. Fünfzehn Mutige schließen sich an. Viele haben Angst vor den Konsequenzen einen so emanzipierten Weg einzuschlagen. Es steht ein Grundstück zur Verfügung, das nah an der Straße liegt, an der die Frauen weiterhin ihren Schmuck verkaufen. Von dort können sie, sich gemeinsam schützend, zurück ins Dorf gehen. Ihr neuer Wohnort ist nah des Ewaso Nyiro River, an dem sie sich und ihren Schmuck waschen können. Mit ihren eigenen Händen bauen die Frauen hier die ersten Häuser. Männer fangen an, ihnen aufzulauern, sie zu verprügeln, aber ihre Antwort ist klar: „Wir bleiben hier. Wir gehen nicht. Ihr könnt uns töten, aber wir werden nicht gehen.“

Internationale Aufmerksamkeit

Eine Frauenorganisation aus Nairobi wird auf Umoja aufmerksam, Rebecca reist für eine Konferenz in die Hauptstadt, später nach Südafrika und 2005 sogar nach New York. Bei den Vereinten Nationen hört sie andere Teilnehmerinnen über ihre Großmütter sprechen, die für Rechte gekämpft hätten, von denen sie jetzt profitieren würden. Diese Aussage bringt Rebecca dazu, sich auch selbst als Frauenrechtlerin zu sehen. Zurück in Umoja teilt sie ihre Einblicke und bringt ihre Freundinnen dazu, die eigene Stärke zu erkennen. Sie haben für das Dorf gekämpft, ohne jegliche Rechte zu besitzen und die Häuser mit ihren eigenen Händen gebaut.  

“„Wir bleiben hier. Wir gehen nicht. Ihr könnt uns töten, aber wir werden nicht gehen.“”
Die Frauen von Umoja
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Rebecca Lolosoli hat auf internationalen Konferenzen gesprochen, darunter auch bei den Vereinten Nationen in New York City. Dort hörte sie Frauen Geschichten über ihre Großmütter erzählen, die für die Rechte gekämpft hatten, die sie heute genießen. Das inspirierte sie dazu, sich selbst als Frauenrechtsaktivistin zu sehen.

Alltag im Frauendorf

Ich stehe in Umoja, Kinder spielen um mich. Christine, seit sechs Jahren hier, erzählt vom Alltag: Es gibt eine Schule bis zur 9. Klasse, unterstützt von einer europäischen Stiftung, und einen Kindergarten mit Spielplatz. Jungen dürfen bis Schulende bleiben, danach können sie als Besucher ins Dorf kommen.

In Umoja wächst der heilkräftige Neem-Baum. Aus seinen Blättern kochen die Frauen Tee gegen Malaria, nutzen den Sud gegen Hautkrankheiten. Im Garten gedeihen Spinat, Kohl, Kürbis, Tomaten, Bananen und Heilkräuter. Ziegen liefern Milch, Fleisch und Leder für die Betten. Viele Frauen teilen sich ein Haus, bis klar ist, dass sie bleiben. Schmuckverkauf und Touristenführungen sichern zusätzliches Einkommen, über dessen Verwendung sie kollektiv entscheiden.

Ein selbstbestimmtes Leben in Solidarität

Die Frauen reden über Ungerechtigkeiten, sorgen für Menstruationsartikel, unterrichten ihre Kinder und verhindern Genitalbeschneidungen – Eingriffe, die oft tödlich enden oder spätere Geburten gefährlich machen. Sie beschließen gegen Kinderehen, das Töten von Frauen und für die Schulbindung ihrer Töchter zu kämpfen. Wie Rebecca, sind sie Bewohner*innen von Umoja stolz, dass ihre Enkelinnen mal sagen werden „Es waren unsere Großmütter, die für unsere Rechte gekämpft haben.“