"Technologien sind nie neutral"
Ein Gespräch mit Petra Molnar, Sprecherin auf der Konferenz des Disruption Network Labs Smart Prisons Conference im März 2023. Petra Molnar ist eine international anerkannte Expertin für Migration und Technologie. Das Interview wurde aus dem Englischen übersetzt. Das Original finden Sie hier.
Was sind Migrationstechnologien und welche Rolle spielen sie im europäischen Grenzkontrollsystem? Sie haben in diesem Zusammenhang das Ökosystem der Technologien für Migrationsmanagement erwähnt – können Sie uns das näher erläutern?
Grenz- und Migrationstechnologien können einer Person an jedem Punkt ihrer Reise begegnen. Bevor man überhaupt eine Grenze überschreitet, können bereits prädiktive Analysen erstellt werden, die im humanitären Rahmen oder bei der Erfassung biometrischer Daten verwendet werden. An der Grenze können Drohnenüberwachung, Schallkanonen und Wärmebildkameras zum Einsatz kommen. Wenn man sich in einem europäischen Flüchtendenlager befindet, kann man mit algorithmischer Bewegungserkennungssoftware oder verschiedenen Überwachungs- und Biometriefunktionen in Berührung kommen. Und selbst wenn man die Möglichkeit bekommt, Asyl zu beantragen, kann man Voice-Printing-Technologien und dem Scraping der Social-Media-Kanäle unterzogen werden.
Auch die Grenzen selbst verschieben und verändern sich, da Überwachung und neue Technologien unser Verständnis der europäischen Grenzen über ihre physischen Grenzen hinaus erweitern und eine Überwachungs-Rasterfahndung bis nach Nord- und Subsahara-Afrika und in den Nahen Osten hinein ermöglichen. Diese experimentellen und risikoreichen Technologien entstehen in einem Umfeld, in dem technologische Lösungen als praktikable Lösungen für komplexe soziale Probleme vorgeschlagen werden. So soll ein lukratives Ökosystem für einen milliardenschweren Industriekomplex an der Grenze geschaffen werden.
Welche Auswirkungen hat der Einsatz von künstlicher Intelligenz und automatisierten Technologien auf die Menschenrechtssituation in der Migrationskontrolle?
Technologien sind nie neutral – sie replizieren bestehende Vorurteile und Machtunterschiede in unserer Gesellschaft und schaffen neue Risiken. Wenn sie in Bereichen wie Grenz- und Migrationskontrolle eingesetzt werden, die risikobehaftet, sehr intransparent und willkürlich sind, kann es zu einer Vielzahl von Menschenrechtsverletzungen kommen. Wir wissen, dass Gesichtserkennung und algorithmische Entscheidungsfindung People of color, Frauen und unterschiedlich befähigte Menschen diskriminieren können. Der wahllose Datenaustausch von sensiblen persönlichen Daten mit Strafverfolgungsbehörden oder sogar repressiven Regierungen, denen Personen zu entfliehen versuchen, ist nicht nur gefährlich, sondern verletzt auch das Recht der Menschen auf Privatsphäre. Der Einsatz von Überwachungstechnologien an Land- und Seegrenzen und die Verhinderung der Einreise von Menschen in das europäische Hoheitsgebiet verstößt nicht nur gegen das internationale Flüchtlingsrecht, sondern kann auch das Recht der Menschen auf Leben, Freiheit und Sicherheit der Person beeinträchtigen. Dies sind nur einige der vielen menschenrechtlichen Risiken von Migrationskontrolltechnologien, doch die Projekte sind nach wie vor weitgehend unreguliert und intransparent.